THE ART OF Fabian Haars

Hier und jetzt.

Ich habe mir Gedanken dazu gemacht, für was die Aussage „Hier und Jetzt“ steht und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es für unmittelbaren Konsum im aktuellen Moment stehen kann. Also keine lange Planung, keine Vorbereitung, keine Hintergedanken.

Wenn ich das auf die Kulinarik übertrage, kann man einerseits sagen, dass die Haltung zum Konsum im Assoziationsraum „Hier und Jetzt“ wenig nachhaltig, eher situativ getrieben und daher egoistisch motiviert ist. Auf der anderen Seite kann man die Aussage „Hier und Jetzt“, reflektiert auf Kulinarik auch so verstehen, dass man sich mit dem zufrieden gibt, bzw. geben sollte, was einem exakt in dem Moment zur Verfügung steht. Und auf diese Perspektive habe ich mich konzentriert.

Hier kann man mehrere Perspektiven einnehmen:

  1. Ich habe wirklich nur das, was ich aktuell und in unmittelbarer Nähe zu mir an Lebensmitteln zur Verfügung habe (Inhalt Kühlschrank, Obstschale)
  2. Eine ganzheitlichere Betrachtung im Sinne von „was ist eben grad saisonal und was bietet mir meine Region lokal“.

Und auch hier habe ich mich auf den zweiten Gedanken konzentriert, da er einerseits konstruktiver und andererseits auch weniger asketisch in eine Art Selbstreflexion des eigenen Verhaltens führt. 

Also ist mein Leitbild zur Aufgabenstellung „Hier und Jetzt“, ein Kreativkonzept zu erstellen, bei dem ich ausschließlich mit regional produzierten und auch nur saisonal erhältlichen Zutaten ein Gericht bzw. mehrere Gerichte konzipiere. Zusätzlich zum Leitbild gehört die Aufgabenstellung, möglichst nachhaltige Produkte zu verwenden. Dabei ist es unerheblich, ob vegan oder mit tierischen Produkten gearbeitet wird. Viel spannender ist die Auseinandersetzung mit dem Begriff Nachhaltigkeit und was damit eigentlich verbunden ist bzw. was das eigentlich bedeutet.

Denn „Hier und Jetzt“ interpretiere ich in meinem Konzept als eine Haltung im Sinne von Nachhaltigkeit.

Warum? Weil jede Handlung, die ich im „Hier und Jetzt“ tätige, mein eigenes Leben und das meiner gesamten Umwelt für immer beeinflusst. Die Frage dabei ist nur: Wie will ich dies beeinflussen und welche Verantwortung trage ich damit?

Ich habe mich in der zweiten Phase eng an meinen Ideen aus der 1. Phase orientiert. Dabei waren mir die folgenden Punkte als Kernthemen wichtig:

  1. Regionalität
  2. Nachhaltigkeit
  3. Saisonalität

Somit habe ich mich darauf besonnen, drei Gerichte zu schaffen, deren Zutaten bzw. Rohprodukte ich möglichst komplett verwerte oder upcycle und die bei nahen Produzenten aus der Umgebung aktuell zur Verfügung stehen. Ich will ausprobieren, ob es überhaupt möglich ist, unter diesen Restriktionen meinen eigenen Anforderungen hinsichtlich kreativer Kulinarik nachzukommen. Oder ggf. zu scheitern.

In der weiteren Konzeption hat mich der Sound von Tom Bennecke auf die Idee einer ländlichen Küche gebracht. Aber auch der urbane Charakter mit den Beats von Björn Pflug haben Spuren hinterlassen. Der Gedanke des Upcyclings kam ganz klar von Valeska Blasche. Und weil schon die ersten Blüten durch die Schneedecke blinzeln, hat mich natürlich auch Jessica Grund-Grube dazu inspiriert, irgendwas mit Blüten zu machen.

Nun aber zu den Gängen:

Ich möchte eine klassische Menüfolge aufbauen: über Fisch, zum fleischhaltigen Hauptgang hin zu einem süßen Dessert.

Dabei will ich vor allem die tierischen Bestandteile möglichst komplett verwerten, um dem Nachhaltigkeitsgedanken nachzukommen. Das Ganze will ich auf die Spitze treiben, indem ich beim Hauptgang nur tierische Produkte verwende, die sonst in unserer Küche keine Rolle (mehr) spielen und von den meisten Menschen eher als „Müll“ wahrgenommen werden. Was natürlich kompletter Quatsch ist und was ich beweisen will. Es muss ja nicht immer Filet oder Steak sein. 
Auch beim Gemüse versuche ich alles zu verarbeiten – egal ob Blatt oder Wurzel.

Was ziemlich spannend ist, ist die Tatsache, dass ich bei einigen „Abfällen der einzelnen Gänge“ genau diese wieder in die anderen Gänge als Zutaten einbauen kann. Wenn ich fertig bin, werde ich dazu auch ein Schaubild erstellen, um den Gedanken sichtbar zu machen.

Kommen wir zu den Namings. Hier bleibe ich der Straße treu und werde wohl ins vulgäre abschweifen. Einerseits aus Provokation und andererseits als unserer kindlichen Haltung, die wir als StreetFoodBros nun mal an den Tag legen.

Die drei Gänge sollen Spaß machen, zu Verwunderung und Überraschung führen und im Kopf bleiben. Genau so, wie meine Botschaft. 

Die drei Gänge werden wie folgt aufgebaut sein:

1. Gang: Gebeizter Seesaibling mit Pastinakenpüree, Bunte-Beete-Carpacchio, Saiblings-Kaviar und Karkassen-Schaum

2. Gang: Rüssel von der Mangaliza-Sau, fermentierter Lauch, Jus, gebeiztes Eigelb, Lauchwurzel-Pommes

3. Gang: Birnen-Quitten-Sorbet, Tannen-Baiser, Kandierte Veilchen, Schlehen-Reduktion

Eventuell als Beilage noch ein Kimchi von den Petersilienwurzelblättern und den Beete-Blättern (falls erhältlich, damit nichts in den Müll kommt).

Kreativkonzept

In der heutigen Konsumgesellschaft findet Verlangen seine Erfüllung im On-Demand. Alles muss jetzt, sofort und schnell bereitstehen. Egal, ob die coole Hose zum Ausprobieren, die mit Rücksendeschein wieder an den Online-Shop geht, das neue Smartphone, dass abends in der Post liegt, Wissen, dass innerhalb von Millisekunden im Web zu finden ist oder eben auch Lebensmittel, die von weit her angeliefert werden, stets in den Regalen zur Verfügung gestellt sein müssen und bestenfalls eine „Pflückreife“ vorzuweisen haben. Unabhängig davon, ob das Produkt online, beim Discounter oder beim Bio-Laden gekauft wird: Der Bezug zum Produkt, der Herkunft und dem ökologischen Fingerabdruck ist Nebensache.

Als StreetFoodBros stehen auch wir täglich in diesem Spannungsfeld und müssen abwägen, wie viel Verantwortung wir übernehmen können bzw. müssen. Um zu beweisen, dass Genuss auf höchstem Niveau möglich ist, wenn man sich auf lokale, saisonale und nachhaltige Produkte konzentriert, habe ich mir selber die folgende Challenge gesetzt:

  1. Kreiere ein Dreigänge-Menü.
  2. Verwende ausschließlich Zutaten, die in der Region Braunschweig angebaut bzw. produziert werden.
  3. Verwende nur vorverarbeitete Produkte, deren Rohstoffe ausschließlich lokal produziert werden.
  4. Achte darauf, dass alle Zutaten ausschließlich saisonal verfügbar oder durch Konservierung lagerfähig sind.
  5. Verwende alle Zutaten von Nose-to-Tail oder nimm Reste, die in bei der Herstellung ggf. weggeworfen werden.
  6. Alle Zutaten sind komplett zu verarbeiten. Resteabfälle sind zu vermeiden.
  7. Zutaten im Garten oder der Natur zu sammeln, ist erlaubt. 

 

Die 3 Gänge

Erster Gang: „Verbrenn dir nicht die Flossen“

Gebeizter Seesaibling auf geschwärztem Pastinaken-Püree mit Rapunzel, gewürfeltem Rote-Bete-Capriccio und Karkassen-Schaum

Aktuell ist noch Laichzeit und in den Forellen-Seen unserer Region ist einiges los. Ich habe einen Seesaibling gefangen und versucht, ihn komplett zu verwerten. Die Filets wurden mit Salz, Zucker, Senfsaat, Koriandersamen (Eigenanbau) und frischen Kräutern (Eigenanbau) gebeizt, die Karkassen zu einem Fond und später einem Schaum verarbeitet. Der Rogen wurde in Salzlake eingelegt und zu Kaviar verarbeitet.

Ferner haben ich mir nach der aktuellen Saison Lagergemüse in Form von Pastinaken und Rote-Beten (Meyer’s Hofladen) besorgt sowie Heu zu Asche verbrannt (Bauer Meyer). Und weil im Garten grad die Rapunzeln so schön wachsen, sind die auch noch ins Gericht geflossen. Auf Pfeffer oder ähnliches wurde verzichtet. Schärfe kam durch Chilli-Pulver, dass ich selber angebaut, getrocknet und pulverisiert habe.

Reste:

  • Die Schale von der Roten-Bete und der Pastinake habe ich getrocknet und zu Suppenpulver verarbeitet
  • Das Grün der Pastinaken und der Beete war wegen der Lagerung nicht vorhanden, könnte aber zu einem Kimchi verarbeitet werden
  • Die Fischhaut sowie die Innereien, die ich nicht weiterverarbeitet habe, wurden entsorgt

 

Zweiter Gang: „Schauze Du Lauch“

Lackierte Duroc-Schnauze mit fermentiertem Lauch, Kürbispüree und frittierten Lauchwurzeln

Um den Nose-to-Tail-Gedanken aufzugreifen, haben ich mir von Meyer‘s Hofladen in Watenbüttel Schweinerüssel besorgt. Ein Produkt, was heutzutage kaum noch auf die Teller kommt und eher als Schlachtrest oder für die Wurst Verwendung findet. Diese wurde 18 Stunden lang im Sous-Vide-Bad in einer Marinade aus Zuckerrübenmelasse, Senfsaat, Koriander, Chillipulver (Eigenanbau) und etwas Wolters Rotbier bei 75 Grad gegart und anschließend im Grill mit der Marinade bei 250 Grad lackiert.

Als Lagergemüse habe ich mich für einen Kürbis (Papes Gemüsegarten) entscheiden, der mit Butter und Sahne zu einem Püree verarbeitet wurde. Zusätzlich habe ich noch Lauch (Papes Gemüsegarten) als saisonales Frischgemüse genommen und die Stangen 3 Wochen in Gartenkräutern und meinen eigenen Gewürzen aus dem Garten fermentieren lassen. Die Wurzeln des Porrees wurden ausgebacken. Auf Pfeffer oder ähnliches wurde verzichtet. Schärfe kam durch Chilli-Pulver, dass ich selber angebaut, getrocknet und pulverisiert habe.

Reste:

  • Das Grün vom Porree, welches ich jedoch auch fermentiert habe
  • Die Kerne vom Kürbis, die ich getrocknet habe
  • Das restliche Bier, welches mir gut geschmeckt hat 😊

Dritter Gang: „Gleich gibts blaues Veilchen auf die Birne“

Birneneis auf gratiniertem Baiser mit Wildheidelbeeren-Jus und kandierten Veilchen

Im Winter ist Lagerobst die einzige Variante, um lokal an frische Früchte zu gelangen. Die Birnen wurden püriert und anschließend mit Sahne, Joghurt und Zucker zu einem Eis verarbeitet. Im Sommer habe ich Heidelbeeren gesammelt und eingefroren. Diese wurden mit Zucker zu einem Kompott eingekocht. Von Jessica Grund-Grube habe ich Veilchen bekommen, die ich in Zucker kandiert habe. Aus einem Ei von Bauer Rickmann in Wendeburg wurden ein Eischnee geschlagen und auf dem Teller gratiniert.

Reste:

  • Schale und Kerngehäuse von der Birne, welche ich entsorgt habe
  • Veilchengrün, welches ich entsorgt habe
  • Eigelb, welches ich in Salz und Zucker gebeizt habe und nun 5 Tage liegen lasse, bevor ich es verwenden kann

 

Fazit

Die drei Gerichte zu kreieren hat in der Findungsphase sehr viel Spaß gemacht. Vor allem durch die Inspiration meiner Projekt-Kolleg(inn)en. Ich habe durch die engen Leitplanken nochmals eine neue Perspektive auf echte Saisonalität, Bevorratung und Lebensmittel-Ethik gelernt. Klar hätte ich auch rein vegan kochen können. Aber ich wollte auch provozieren und ein nicht ganz typisches Produkt auf den Teller bringen. Ob die Zubereitung und der Aufwand hinter so einem Menü gerechtfertigt sind, kann diskutiert werden. Mein Ziel war es jedoch, den Produktkomponenten auch optisch den Stellenwert zu geben, den sie verdienen.

Ich würde mich freuen, wenn das Ergebnis meiner Arbeit inspiriert, zur Selbstreflektion des eigenen Konsumverhaltens und zum Nachahmen anregt.

Danksagung

Ich möchte Sebastian Schollmeyer für die konzeptionelle Unterstützung und die fotografische Umsetzung danken. Du bist mir eine große Hilfe gewesen. Auch möchte ich Scotty Meyer’s Hofladen in Watenbüttel für die Fachberatung und die Bereitstellung der Schweinerüssel danken. Euer Konzept zur nachhaltigen Tierhaltung und Fleischverarbeitung ist Gold wert.

Fotocredits: Sebastian Schollmeyer